Review: Mord an Magdalene H. ("Busreise zum Plattensee")
Ein Review von bastian2410 am 24.05.2010
(Original-Beitrag mit Diskussion im XY-Forum) Der Fall wurde in folgenden Sendungen behandelt:
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Per Anhalter in den Tod:
Der Mordfall Magdalene H.
Tattag: Nacht vom 28. auf den 29. September 2001
Tatort: Waldgebiet bei Thurnau
Der Fall
Das Opfer, Magdalene H., 51 Jahre, wohnt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Obersontheim im Landkreis Schwäbisch Hall im Nordosten von Baden-Württemberg. Sie betreibt in Obersontheim einen Lotto-Toto-Laden und ist auch sonst im Ort politisch engagiert. Sie ist Vorsitzende im Landesfrauenverband Obersontheim, dessen Dachverband der Landesfrauenverein Schwäbisch Hall ist. Gemeinsame Unternehmungen und Veranstaltungen im Laufe der Jahre sind üblich. So wollte man seit Jahren schon gemeinsam eine Reise unternehmen. Die Planungen waren abgeschlossen, und am Freitag, den 28.09.2001, macht sich der Landesfrauenverein Schwäbisch Hall mit seinen Mitgliedern auf den Weg nach Ungarn, nämlich an den schönen Plattensee. Die Stimmung ist fröhlich, man freut sich auf fünf gemeinsame Tage am Balaton. Fast wäre die Reise für Frau H. schon zuhause zu Ende gewesen, denn vor der Abreise kann sie ihren Pass zunächst nicht finden. Nach langer Suche nimmt sie ihren Reisepass mit, ohne allerdings zu merken, dass dieser abgelaufen ist. Um 5:40 Uhr morgens sind alle Teilnehmer am Bord, und der Bus fährt über die Autobahn Regensburg und Passau Richtung Österreich. Gegen 17:00 Uhr kommt man dann an der Grenze zu Ungarn an. Fast zwei Stunden muss die Reisegruppe am Grenzübergang Nickelsdorf warten; auch Ungarn kontrolliert nach dem 11.09.2001 genauer. (Die Anschläge waren gut zwei Wochen vorher.) Nach der Aufforderung, die Pässe bereitzuhalten, merkt Frau H. jetzt erst, dass ihr Reisepass abgelaufen ist. „Was mache ich nur?“, fragt sie ihre Nachbarin. Die Hoffnung, dass ihr ein vorläufiger Pass ausgestellt und die Einreise erlaubt wird, zerschlägt sich jedoch. Ein Grenzbeamter macht ihr klar, dass eine Einreise nach Ungarn ohne gültige Papiere unmöglich ist. Für Magdalene H. ist somit die Reise bereits an Grenze zu Ungarn zu Ende, und sie muss die Heimreise antreten. Den Vorschlag der Reisegruppe, gemeinsam die Rückfahrt aufzunehmen, schlägt sie aus: „Das kommt nicht in Frage, ich fahre alleine, genießt Ihr die Reise!“ Nachdem sie eine Bescheinigung über ihre Zurückweisung erhalten hat, verschwindet die Frau zunächst spurlos.
Als sich dann eine Teilnehmerin der Reisegruppe bei der Familie H. über die Rückkehr der Ehefrau erkundigen will, erfährt der Ehemann vom Verschwinden seiner Frau und erstattet kurze Zeit später Vermisstenanzeige bei der Polizei. Magdalene H. bleibt verschwunden, die Kripo Bayreuth übernimmt die Ermittlungen. Noch bevor die Polizei mit der Suche nach der Frau richtig anfangen kann, wird eine Frauenleiche in einem Waldgebiet in Thurnau im Landkreis Kulmbach gefunden – am 6. Oktober 2001 und 650 km von der ungarischen Grenze entfernt. Bereits anhand der Kleidung kann die Leiche identifiziert werden, den sicheren Beweis bringt eine DNA-Analyse. Die Tote aus dem Wald ist gesuchte Magdalene H. Nachdem die Identität des Opfers feststeht, stellt sich für die Polizei die Frage, wie und mit wem das Opfer zurückgefahren ist. Eine große Hilfe für die deutsche Polizei ist eine Liste der ungarischen Polizei, in der alle Fahrzeuge, die die Grenze zum fraglichen Zeitpunkt passiert haben, mit Kennzeichen erfasst werden. Das bedeutet aber auch viel Arbeit für die Polizei, Hunderte von Kennzeichen werden überprüft.
Der Polizei gelingt aber ein großer Treffer. Sie findet einen Fahrer, der das Opfer an der Grenze aufgelesen hat. Der Autofahrer wehrt sich zunächst gegen den Vorwurf, dass er sich nicht schon früher gemeldet hat. Er gibt an, viel in Ungarn gearbeitet zu haben und von der Sache nichts mitbekommen zu haben. Schließlich schildert er das Treffen mit Magdalene H. Er habe auf der Heimreise aus Ungarn das Opfer kurz nach 19 Uhr an der Grenze mitgenommen. Er wollte der Frau helfen, schließlich befand sie sich in Not, und er freute sich über etwas Gesellschaft auf der langen Autofahrt. Während der Fahrt führten die beiden ein nettes Gespräch; der Zeuge gibt an, Magdalene H. hatte es abgelehnt, ihren Mann anzurufen. Er wollte ihr sein Handy leihen. Die Fahrt führt über Wien nach Regensburg. Gegen 22 Uhr erreichen die beiden die Aral-Tankstelle am Rastplatz Regenburg/Ost an der A3. Dort trennen sich ihre Wege. Frau H. wollte mit einem Taxi in die Innenstadt von Regensburg und dort in einem Hotel übernachten. Am nächsten Tag wollte sie mit der Bahn die Heimreise antreten. Die Aussagen des Zeugen wurden als glaubhaft eingestuft.
Die Sendung
Gleich zu Beginn der filmischen Rekonstruktion lernt der Zuschauer Magdalene H. kennen. Sie befindet sich auf einer Busreise mit ihrem Landesfrauenverband nach Ungarn. Dabei erscheint sie als herzlicher und lustiger Mensch, der für den Zuschauer durchaus sympathisch rüberkommt. Es wird allgemein viel gelacht in der Filmdarstellung, unterlegt von Geigenmusik. Über das Privatleben des Opfers erfährt der Zuschauer nichts, es wird zwar indirekt erwähnt, dass sie verheiratet ist. Dass sie aber Mutter von drei Kindern ist, wird verschwiegen.
Es folgt das Geschehen an der Grenze zu Ungarn, welches ausführlich geschildert wird. Lustig ist die Verwendung der unterschiedlichen Dialekte. So spricht der Grenzbeamte Frau H. auf Deutsch mit einem ungarischen Akzent an, diese antwortet ihm auf "Schwäbisch". Dies setzt sich weiter fort. Die Szene an der Grenze endet mit einem Winken und Umdrehen der Hauptakteurin.
Dann folgt ein Zeitsprung in der Filmdarstellung. Zu sehen ist ein Traktorfahrer, der das Opfer tot im Wald findet. Untermalt von sehr düsterer und schwerer Musik hält die Kamera nur auf die Stiefel des Landwirts, als er vom Traktor absteigt und ins Gebüsch geht. Nachdem er eine Umhängetasche aufhebt, sieht der Zuschauer den Oberkörper der Toten. Der Landwirt lässt dann vor Schreck die Tasche wieder fallen. Diese Szene wurde jedoch nicht ganz realitätsgetreu dargestellt (es waren eigentlich zwei Landwirte, das Opfer war unter Ästen versteckt). Als nächstes wird die Polizeiarbeit gezeigt, um das Verbrechen aufzuklären. Zwei Kripobeamte überprüfen Kennzeichen, welche zur fraglichen Zeit am Grenzübergang waren und von Kameras aufgenommen wurden. Es gelingt ein Treffer; der Autofahrer, der Frau H. als Anhalter mitgenommen hat, wird gefunden und vorgeladen. Hier wird indirekt eine "Aktenzeichen XY"-Sendung angesprochen. Die Beamten werfen dem Zeugen vor, sich nicht früher gemeldet zu haben. Der Fall wurde sogar im Fernsehen gezeigt. Gut zwei Wochen nach der Tat berichtet "Aktenzeichen XY" als Studiofall (in der Sendung vom 12.10.2001) über den Mord an Magdalene H.
Jetzt folgt wieder ein Zeitsprung, diesmal zurück an die Grenze Ungarn/Österreich. Die weiteren Geschehnisse werden aus der Sicht des Zeugen dargestellt: mal kommentiert von dem Zeugen, mal wird der Film unterbrochen und der Zeuge schildert den Verlauf im Polizeipräsidium. Die Autofahrt endet schließlich auf einer Tankstelle am Rastplatz Regensburg/Ost. Das Opfer steigt aus, verabschiedet sich und läuft Richtung Tankstelleneingang. Der Film endet schließlich auf dem Polizeipräsidium mit der Verabschiedung des Zeugen. Die Beamten begleiten den Mann heraus. Die Kamera zoomt auf das Foto der Toten, das Licht im Raum geht aus und ein Polizei-Blaulicht mit Martinshorn ertönt, und es folgt der Hinweis, dass das Opfer kein Hotel in Regensburg aufgesucht hat.
In der Nachbesprechung stellt der Kripobeamte im Studio hauptsächlich Fragen zu den Sachen, die das Opfer bei sich trug, und die seit der Tat verschwunden sind. Es handelt sich u. a. um einen roten Reisekoffer Marke Bermas, einen beige-grauen Stoffrucksack, einen bunten Regenschirm und Kleidung der Toten. Auch wird nach Zeugen gesucht, die Magdalene H. am Tattag gegen 22:30 Uhr am Rastplatz Regenburg/Ost gesehen und evtl. blutverschmierte Personen bzw. auffällige Kraftfahrzeuge bemerkt haben. Die Belohnung beträgt 15.000 Euro.
Nach der Sendung
Es gingen zahlreiche Hinweise zu diesem Mordfall ein. Nach der Sendung meldeten sich zwei Zeugen. Sie gaben an, am Morgen des 29. September des Vorjahres eine erregt wirkende, dunkel gekleidete Frau gesehen zu haben. Als Folge wurde im Regensburger Ortsteil Harting eine Haus-zu-Haus-Befragung durchgeführt. Es ergaben sich jedoch keine Zusammenhänge mit dem Mord an Magdalene H. Ein weiterer Zeuge meldete sich ebenfalls in der Sendung und gab einen sehr interessanten Hinweis, legte jedoch auf, bevor seine Daten festgestellt werden konnten. Der Fall konnte zunächst nicht aufgeklärt werden. Ende Juni 2002 wurde der Fall ein zweites Mal im MDR bei "Kripo live" vorgestellt.
Die Auflösung bzw. Festnahme
20 Monate nach der Tat wurde schließlich ein Tatverdächtiger festgenommen. Es war ein 51-jähriger Mann aus dem Landkreis Hof, nämlich der Zeuge aus der XY-Film-Rekonstruktion. Zunächst machte die Polizei aus ermittlungstechnischen Gründen keine näheren Angaben zu dem Tatverdächtigen. Der Ex-Manager verstrickte sich jedoch bei weiteren Vernehmungen immer mehr in Widersprüche. Außerdem konnte ihm nachgewiesen werden, dass er in Österreich Klebeband gekauft hatte, welches Spuren am Opfer hinterlassen hatte. Anfang Juli 2003 wurde Haftbefehl erlassen. Ende Juli 2003 hatte allerdings die Haftprüfung vor dem Oberlandgericht Erfolg und der Verdächtige wurde zunächst wieder auf freien Fuß gesetzt. Nur wenige Tage später wurde jedoch erneut Haftbefehl erlassen, der Tatverdächtige musste bis zum Prozessauftakt in U-Haft.
Der Täter
Der Täter Viktor Hartmut M. ist gebürtiger Niedersachse, verheiratet, und lebte bislang in Bayern im Landkreis Hof. Von Mitte der Neunziger bis Anfang 2000 arbeitete M. in einer Porzellanfabrik in Bayern, der Rosenthal AG (inzwischen seit 2009 insolvent). Danach war er eine Zeit lang als Im- und Exportkaufmann tätig, war zuletzt allerdings arbeitslos. Als Manager verdiente er bis 450.000 Euro pro Jahr, im ersten Prozess in Bayreuth gab er ein Monatsgehalt von 20.000 Euro an.
Der erste Prozess (Landgericht Bayreuth)
Angeklagter: Hartmut-Viktor M. (53 Jahre, wohnhaft in Förbau bei Schwarzenbach an der Saale)
Kammer: Schwurgericht des Landgerichts Bayreuth
Beginn: 19.04.2004
Urteil: 21.06.2004
Richter: Michael Eckstein
Verteidigung: Nikolaus Gwosdek und Andreas Homth
Die Anklageschrift (Kurzfassung)
Dem arbeitslosen Manager wird vorgeworfen, in der Nacht auf den 29. September 2001 die 51-jährige Geschäftsführerin Magdalene H. ermordet zu haben, um sie zu bestehlen.
Am Tattag ist der Angeklagte mit seinem Wagen auf dem Weg von Ungarn nach Hause in Richtung Hof. Gegen 18 Uhr spricht das Opfer den Angeklagten an der Grenze Nickelsdorf/Hegyeshalom an und bittet ihn, sie mit zurück nach Deutschland zu nehmen. Während der Fahrt unterhalten sich das Opfer und der Angeklagte miteinander, wobei der Angeklagte im Laufe des Gesprächs erfährt, dass Magdalene H. eine größere Summe Bargeld bei sich führt. Er fasst den Entschluss, die Frau zu töten. Während der Fahrt überwältigt er das Opfer und fesselt es mit einem Klebeband, welches er vorher an einer Raststätte in Österreich gekauft hat. Dann bringt er sein Opfer dazu, ihm an der Autobahn-Abfahrt auf der A 73 bei Thurnau, nahe Kulmbach, ins Unterholz zu folgen. Dort schneidet M. der Frau die Kehle durch. Er lässt das Opfer im Wald liegen und nimmt die Geldbörse mit 400 Euro Inhalt an sich. Die Anklage geht davon aus, dass der Angeklagte aus Habgier die Geschäftsführerin getötet hat, und klagt ihn deshalb wegen Mordes in Tateinheit mit schwerem Raub an.
Im Verlauf der Verhandlung bestreitet der Angeklagte die Tat. Er führt an, dass er das Opfer am Tattag an der Grenze Ungarn/Österreich als Anhalterin mitgenommen hat. Im Verlauf der Fahrt ist es zu einer angenehmen Konversation gekommen, wobei das Opfer über ihre Familie berichtet hat. Auch über ihr "Missgeschick" an der Grenze hat sie gesprochen. Die Autofahrt verlief ohne Zwischenfälle Richtung Regensburg. Am Rastplatz Regensburg/Ost haben sich ihre Wege getrennt. Sie sei aus dem Wagen ausgestiegen und habe sich verabschiedet. Sie wollte sich in Regensburg ein Hotel suchen und morgen per Bahn die Heimreise antreten. Seitdem habe er Magdalene H. nie mehr gesehen. Er habe dann selbst die Heimreise angetreten. Über seinen Anwalt ließ er später noch erklären, dass er das Schicksal der Frau bedauere, er habe sie jedoch nicht getötet, er sei es nicht gewesen.
Der Obduktionsbericht wird vorgelesen. Aus diesem geht hervor, dass Magdalene H. noch in der Nacht zum 29.09.2001 getötet wurde. Als Todesursache wurde massive Gewalteinwirkung gegen den Hals mittels eines scharfen Gegenstandes, vermutlich eines Messers, festgestellt. Anhand von Schmeißfliegen, welche auf der Leiche gefunden wurden, konnte auch festgestellt werden, dass das Opfer noch am Abend ihres Verschwindens in diesem Waldstück abgelegt wurde.
Als Zeugen wurden zwei Landwirte geladen, die das Opfer eine Woche nach ihrem Verschwinden, am 6. Oktober 2001, in dem Waldstück im Landkreis Kulmbach entdeckt hatten. Die Zeugen hatten den toten Körper während Waldarbeiten im Oktober 2001 unter einem Holundergebüsch in der Nähe von Thurnau gefunden. Der Fundort der Leiche liege an einer stark befahrenen Straße, so die beiden Zeugen.
Am dritten Verhandlungstag sagten zwei Halbbrüder sowie ein enger Freund des Angeklagten vor dem Schwurgericht aus. Sie erklärten, der 53-jährige Kaufmann sei niemals aggressiv, handgreiflich oder gar hysterisch gewesen. Vielmehr trete er in schwierigen Situationen eher als Streitschlichter auf. Auch die Ehefrau wurde gehört und sagte aus, dass sie mit ihrem Mann zur Tatzeit eine geraume Zeit telefoniert hatte. Während des ganzen Gesprächs fuhr er Auto und es war keine andere Person bei ihm. Sie gab somit den Angeklagten ein Alibi.
Die Kriminaltechnik konnte im ersten Prozess keine Spuren am Tatort bzw. am Opfer finden. So wurden die Handtasche und die Kleidung des Opfers untersucht. Sie wiesen jedoch keine Spuren des Angeklagten auf. Auch im Auto des Ex-Managers fand man keine Spuren des Opfers, welche auf ein Verbrechen schließen lassen würden. Zwar wurden auf dem Beifahrersitz Haare von Magdalene H. gefunden, dies wurde jedoch darauf zurückgeführt, dass das Opfer als Beifahrerin im Auto saß. Dieser Umstand wurde ja vom Angeklagten eingeräumt.
Am 11.06.2004 wurden dann weitere Sachbearbeiter der Kripo vernommen. So ging es um das Klebeband, mit dem das Opfer gefesselt worden war, und von dem später Spuren am Opfer gefunden wurden. Als dem Angeklagten dies bei seiner Festnahme eröffnet wurde, habe er von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Es konnte festgestellt werden, dass der Angeklagte das Klebeband am Tatabend, während das Opfer in seinem Auto saß, gekauft hat. Warum er dieses Klebeband gekauft hat und wofür er es gebraucht hat, sagte der Angeklagte nicht und verweigerte auch im Gerichtssaal die Aussage. (Im zweiten Prozess sagte er aus, er habe das Klebeband für Kartons gekauft.)
Am 13. Verhandlungstag, nach 33 Zeugen und 6 Sachverständigen, wurde die Beweisaufnahme geschlossen und das Plädoyer der Verteidigung gehört. Sie forderte Freispruch aus Mangel an Beweisen. Es sei völlig offen, wann und wo die Frau getötet wurde. Die Klebebänder, die der Angeklagte gekauft hatte und von denen Spuren an der Leiche entdeckt wurden, reichen nach Ansicht der Verteidigung nicht für eine Überführung aus. Der Angeklagte hatte während der Tatzeit ein Alibi, und dies konnte die Staatsanwaltschaft nicht widerlegen. Auch fehle es an einem Motiv. Warum sollte er diese Frau töten? Beide hatten sich vorher noch nie gesehen. Er wollte nur einer Frau in Not helfen.
Die Staatsanwaltschaft forderte eine lebenslange Haft wegen Mordes. Das Klebeband sei nicht nur ein Indiz, sondern ein klarer Beweis für die Schuld des Angeklagten. Er hatte im Prozess keine Antwort geliefert, warum er gerade an diesem Tag dieses Klebeband gekauft hat. Auch ist es unklar, warum der Angeklagte nicht von selbst zur Polizei kam, sondern erst nach Nachforschungen der Polizei zum Fall Stellung nahm. Nachdem klar war, dass die Polizei sein Kennzeichen kannte und er zum fraglichen Zeitpunkt die Grenze Richtung Deutschland überquerte, gab er einen Kontakt zum Opfer zu. Zudem wirkte er bei den Befragungen als Zeuge nervös und habe sich zunächst angeblich nur vage an seine Mitfahrerin erinnert, sagte der Staatsanwalt weiter. Als die Kripo hartnäckig nachgefragt habe, seien ihm plötzlich – letztlich unglaubwürdig – eine Fülle von Details eingefallen. Er habe die Notsituation des Opfers ausgenutzt. Die Behauptung, er habe die Frau an der Raststätte abgesetzt, sei falsch. Niemand habe die Frau dort gesehen. Der Angeklagte ist schuldig und demnach lebenslang zu verurteilen.
Der Angeklagte beteuerte im letzten Wort nochmals seine Unschuld.
Das Urteil
Die Schwurgerichtskammer spricht im Namen des Volkes folgendes Urteil:
1. Der Angeklagte wird freigesprochen.
2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Staatskasse.
3. Der Haftbefehl wird aufgehoben. Der Angeklagte erhält eine Entschädigung.
Der Mord an der damals 51-jährigen Magdalene H. sei dem Angeklagten nicht nachzuweisen. Als einziges Indiz bezeichnete der Vorsitzende die Isolierbänder, die der Angeklagte gekauft und von denen Spuren an der Leiche gefunden wurden. Es ist zwar ein Klebeband der gleichen Marke. Dies reiche zu einer Verurteilung nicht aus, da gewichtige entlastende Umstände gegen eine Täterschaft sprechen. Es ist kein Motiv erkennbar, das Mordmerkmal Habgier nicht ersichtlich. Der Angeklagte habe als Manager bis 400.000 Euro pro Jahr verdient. Auch wenn seine wirtschaftliche Lage nicht mehr diselbe ist, ein Mord wegen 400 Euro hält das Gericht für abwegig. Auch wenn die Angaben der Ehefrau viele Fragen offen lassen, wurden keine Spuren gefunden, die den Angeklagten in Verbindung mit dem Mord bringen. Ebenso ist seine Aussage, dass er das Opfer an der Raststätte abgesetzt hat, nicht widerlegt worden. Dass das Opfer nicht gesehen wurde, kann nicht dem Angeklagten angelastet werden. Zudem besteht die Möglichkeit, dass das Opfer auf einen Dritten auf dem Autohof getroffen ist und dieser der Mörder ist. Bis heute sind die Gegenstände, die das Opfer bei ihrer Heimkehr bei sich trug, verschwunden. Der rote Reisekoffer mit dem Namenszug "BERMAS", ein rostbraun gemusterter "Inka-Rucksack", ihre silberne Jacke und ihr bunter Regenschirm sind bisher nicht wieder aufgetaucht. Es bleiben somit Zweifel an der Schuld des Angeklagten, und bei Zweifel bleibt nur ein Freispruch.
Sowohl Staatsanwaltschaft als auch Nebenklage legen in Karlsruhe vor dem BGH Revision ein.
Die Revision
Am 12.01.2005 hebt der BGH das Urteil gegen den Ex-Manager auf und verweist an das Schwurgericht des Landgerichts Würzburg. Der BGH begründete seine Entscheidung unter anderem damit, dass das Bayreuther Gericht sich nicht ausführlich mit einem Beweismittel auseinandergesetzt habe. So habe Hartmut M. an einem österreichischen Autobahnrasthof bei Suben ein grünes Klebeband gekauft. Eben jenes Klebeband wurde später in den Wunden der Toten gefunden. Dem Bayreuther Schwurgericht hatte dieses Indiz aber nicht für eine Verurteilung genügt. Zudem sei das Alibi der Ehefrau falsch. Aufgrund von Telefonaufzeichnungen des Handyunternehmens konnte inzwischen festgestellt werden, dass der Angeklagte während der Autofahrt nicht mit seiner Frau gesprochen hat. Das letzte Gespräch hatte der Angeklagte noch in Ungarn geführt. Insgesamt hält das Urteil des Landgerichts Bayreuth der Überprüfung nicht stand und wird nach Würzburg zurückverwiesen.
Der Prozess in Hamburg (Die Shell-Erpressung des Herrn Garibaldi)
Am 24. November 2004 wurde der Ex-Manager in Lüneburg bei einer Geldübergabe verhaftet. Die Monate davor hatte er versucht, den Shell-Konzern um 4 Millionen Euro zu erpressen. Unter dem Decknamen "Garibaldi" soll er dem Ölkonzern mit Sitz in Fuhlsbüttel mit Briefen und Anrufen gedroht haben, Brandanschläge auf die Firma zu verüben und Molotowcocktails von Autobahnbrücken zu werfen. In einer Telefonstelle bei einer inszenierten Geldübergabe nahm ihn die Polizei fest. Er benutzte während der Dauer der Erpressung den Namen des italienischen Freiheitskämpfers Giuseppe Garibaldi (1807–1882).
Der Shell-Konzern hatte sofort nach Eingang der Erpressung die Polizei eingeschaltet. Zwar ließ der Erpresser seinen Drohungen keine Taten folgen, trotzdem stuften die Beamten des LKA den Fall als „sehr ernst“ ein. Die "SoKo Garibaldi" wurde eingerichtet. Der Erpresser verhielt sich „sehr mobil“. Immer wieder meldete er sich telefonisch und schriftlich aus unterschiedlichen Bundesländern, wich sogar nach Tschechien aus. Nach seiner Festnahme legte er ein Geständnis ab. Durch Gespräche der Prozessbeteiligten vor der Verhandlung wurde auch ein Urteil abgesprochen. Sollte der arbeitslose Ex-Manager ein umfassendes Geständnis ablegen, erwarten den Angeklagten eine Haftstrafe von höchstens vier Jahren wegen versuchter räuberischer Erpressung. Er betonte, er habe nicht wirklich vorgehabt, die von ihm ausgesprochenen, schrecklichen Drohungen wahrzumachen.
Nach nur einem Prozesstag verurteilte das Landgericht Hamburg den Angeklagten zu vier Jahren Haft. Das Gericht wertete unter anderem sein umfassendes Geständnis strafmildernd, zudem sei er nicht vorbestraft und habe sich bisher mit Fleiß und Energie seinem beruflichen Werdegang gewidmet. Auch seine schwere persönliche und wirtschaftlich angeschlagene Situation des Angeklagten wurde bei der Urteilsfindung berücksichtigt. Mit dem Aufbau eines Callcenters in Ungarn und in der Türkei war der Angeklagte, der sich selbstständig gemacht hatte, gescheitert – er hatte zuletzt Schulden von rund 400.000 Euro. Zudem war er Beschuldiger in einem Mordprozess. Aufgrund dieser Umstände und der Absprache mit der Staatsanwaltschaft sei eine Haftstrafe von vier Jahren tat- und schuldangemessen. Die Verteidigung nahm das Urteil an; dadurch wurde das Urteil rechtskräftig und der Angeklagte wurde der JVA Fuhlsbüttel übergeben.
Der zweite Prozess in Würzburg
Angeklagter: Hartmut-Viktor M. (56 Jahre, wohnhaft in Förbau bei Schwarzenbach an der Saale)
Kammer: Schwurgericht des Landgerichts Würzburg
Beginn: 16. Januar 2007
Urteil: 11. Mai 2007
Richter: Rainer Gündert
Anklage: Erik Ohlenschlager
Verteidigung: Nikolaus Gwosdek und Andreas Homuth
Nebenklage: Familie H., vertreten durch RA Michael Donath
Die Anklageschrift der StA Würzburg
Die Anklageschrift bleibt unverändert. Die StA Würzburg wirft dem Angeklagten Mord an Magdalene H. vor, um sie zu bestehlen. (Der Tatablauf ist bereits oben beschrieben). Die StA erweitert jedoch den Vorwurf um das Mordmerkmal der Heimtücke. Der Angeklagte habe das Opfer während der Fahrt ohne jeglichen Grund überwältigt und gefesselt. Dann habe er Frau H. dazu gebracht, ihm in den Wald zu folgen. Frau H. ging zur dieser Zeit noch davon aus, dass der Angeklagte sie am Leben lässt. Zum Zeitpunkt der Tat war das Opfer somit arg- und wehrlos, das Tatmerkmal der Heimtücke ist somit erfüllt. Frau H. hatte zudem 400 Euro Bargeld bei sich, diese Summe wollte der Angeklagte an sich nehmen. Demnach handelte der Angeklagte mit dem Motiv der Habgier. Er ist somit des Mordes aus Habgier und Heimtücke und des schweren Raubes angeklagt.
Am ersten Verhandlungstag stellt die Verteidigung den Antrag, die Verhandlung zu unterbrechen. Aufgrund eines Fehlers der Post seien der Verteidigung Akten verspätet zugestellt worden. Das Gericht gibt dem Antrag statt und unterbricht die Verhandlung für zwei Tage.
(Anmerkung meinerseits: Das Gericht muss diesem Antrag stattgeben, weil nach der Strafprozessordnung (abgekürzt: StPO) der Verteidigung eine gewisse Zeit eingeräumt werden muss, um sich auf die Verhandlung vorzubereiten. Dieses Recht muss dem Angeklagten gestattet werden, eine Verletzung diese Rechts bedeutet einen Revisionsgrund. Wie lange dieser Zeitraum andauert, liegt im Ermessen des Gerichts, wenn kein Verschulden der Verteidigung (hier Fehler der Post) vorliegt.)
Am zweiten Verhandlungstag wird zunächst der Obduktionsbericht vorgelesen. Mit einem scharfen Gegenstand, vermutlich einem Messer, wurden der Geschäftsfrau aus Baden-Württemberg mehrere massive Schnitte am Hals zugefügt und die Luftröhre durchtrennt. Auch hier ergeben sich keine Unterschiede zur ersten Instanz. (s. o.)
Dann wird der Angeklagte befragt. Er macht nur Angaben zur Person. Lediglich über seine persönlichen Verhältnisse und seinen beruflichen Werdegang berichtet er. Bevor er sich 1995 den Arbeitsplatz bei der weltbekannten Firma aussuchte, hatte der Kaufmann schon für eine Vielzahl großer Firmen gearbeitet. Zu jener Zeit verdiente der zweifache Familienvater nach eigenen Angaben bis zu 20.000 D-Mark netto im Monat. Sein Abstieg begann, als er den Entschluss fasste, sich selbstständig zu machen. Er steckte viel Geld in Call-Center in der Türkei und Ungarn und verlor dabei 700.000 Mark. Heute hat er rund 450.000 Euro Schulden. 2003 wollte er ein neues Geschäft aufbauen, dann wurde er verhaftet. Das Geld ist verloren. Dies sei auch der Grund der Erpressung gewesen. Er brauchte Geld, und er sah nur einen Ausweg, nämlich eine Erpressung. Das Gericht fügt hinzu , dass der Angeklagte wegen Erpressung zu einer Haftstrafe von vier Jahren verurteilt wurde und diese zur Zeit in Hamburg absitzt. Wegen der Verhandlung in Würzburg wurde er der JVA Würzburg übergeben.
Der Verteidigung erklärt im Namen seines Mandaten, dass der Angeklagte keine Angaben zu Sache macht. Nach der Vernehmung des Angeklagten muss das Gericht die Verhandlung erneut unterbrechen. Wegen des Orkans "Kyrill" muss das Strafjustizzentrum komplett geräumt werden, das gesamte Gelände wird evakuiert.
An den folgenden Prozesstagen werden hauptsächlich Kripobeamte vernommen. Es wird über die Ermittlungsarbeit berichtet, über die Auswertung der Kennzeichen und die Verhöre mit dem Angeklagten. Der Angeklagte verstrickt sich immer mehr in Widersprüche und wirkt immer nervöser. Auch die beiden Halbbrüder werden erneut vernommen und berichten über die gemeinsame Jugend in Norddeutschland. Sie bleiben in Grundzügen bei ihrer Aussage aus erster Instanz.
(Anmerkung meinerseits: Eine Zweitinstanz muss sämtliche Zeugen der ersten Instanz erneut vor Gericht laden, außer Verteidigung und Staatsanwaltschaft verzichten gemeinsam(!) auf eine erneute Ladung. Eine Ladung ist zwingend, auch wenn die Zweitinstanz oder der BGH im Revisionsurteil die Aussage eines Zeugen für unglaubwürdig hält. Die Verletzung dieser Vorschrift ist ein Revisionsgrund. Sollte der BGH die Aussage eines Zeugen beanstanden, muss die Zweitinstanz den Zeugen bzgl. eines Auskunftsverweigerungsrecht belehren (d. h., er braucht keine Angaben zu machen, wenn er sich selbst mit dieser Aussage belastet.) Dies gilt erst recht, wenn bereits ein Strafverfahren eingeleitet und noch nicht abgeschlossen ist)
Es wird die Ehefrau gehört. Sie gibt an, sich nach der Erpressung in Hamburg von ihrem Mann getrennt zu haben. Nach der Belehrung ist die Zeugin bereit auszusagen. Diese hatte in der ersten Instanz ihrem Mann ein Alibi gegeben, indem sie angab, mit ihrem Mann eine geraume Zeit telefoniert zu haben. Der Angeklagte, der zur dieser Zeit ein Prepaid-Handy besaß, hatte sich nachweislich erkundigt, ob diese Daten zurückverfolgt werden konnten. Aufgrund einer Fehlinformation aus dem Bekanntenkreis gab er dann als Alibi ein Telefonat mit seiner Frau an. Die Staatsanwaltschaft in der Erstinstanz hatte jedoch versäumt, entsprechende Nachforschungen anzustellen. Erst nach dem Urteil der Erstinstanz lag eine Telefonaufzeichnung vor, die belegte, dass der Angeklagte zur fraglichen Zeit nicht telefoniert hat. Die Ehefrau widerrief ihre Aussage aus der Erstinstanz und gab zur Protokoll, dass letzte Mal mit ihrem Mann am Nachmittag noch in Ungarn telefoniert zu haben.
Die Verteidigung greift die Aussage der Ehefrau an, indem sie ihr vorwirft, sich evtl. Vorteile in einem Strafverfahren wegen Falschaussage zu verschaffen. Darauf fordert die Staatsanwaltschaft die Verteidiger auf, die Beeinflussung von Zeugen zu unterlassen. Laut Ohlenschlager hat der Anwalt mit der getrennt lebenden Ehefrau des Angeklagten telefoniert und sie davor gewarnt, ihren Mann wegen sexueller Nötigung und Bedrohung anzuzeigen. Im Wiederholungsfall werde die Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen versuchter Strafvereitelung gegen den Anwalt einleiten und seinen Ausschluss aus dem Verfahren beantragen. Die Ehefrau macht danach keine weiteren Aussagen und verweigert die Aussage. Sie werde in ihrem Heimatort angefeindet, seit sie ihrem Mann kein Alibi mehr gebe.
(Anmerkung meinerseits: Die getrennt lebende Ehefrau (sogar wenn die Scheidung bereits vollzogen ist) hat zu jeder Zeit während der Vernehmung ein Zeugnisverweigerungsrecht, d. h. sie braucht gegen ihren Ex- bzw. Ehemann nicht aussagen und kann die Vernehmung unterbrechen. In diesem Fall kommt sogar ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO in Betracht, weil ein Strafverfahren aus erster Instanz wegen Falschaussage drohte.)
Die Staatsanwaltschaft beantragt nach dem Zeugnisverweigerungsrecht der Zeugin die Vernehmung der Ermittlungsrichterin des Amtsgerichts Hof, bei der die Zeugin das Alibi widerrufen hatte. Dort hatte sie damals Angaben zu Ihrer Ehe gemacht, welche für den Verlauf der Verhandlung und der Einschätzung der Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten wichtig seien.
(Anmerkung meinerseits: Das sogenannte Vernehmen von Zeugen "des Hörensagens" ist nach der StPO zwar nicht verboten, jedoch höchst umstritten. In den USA z. B. ist diese Art von Vernehmung normal. Der BGH hat in einer Grundsatzentscheidung entschieden, dass die Vernehmung von Zeugen des Hörensagens zulässig sei. Problem ist hier, dass die Zeugin ein Zeugnisverweigerungsrecht hatte, d. h. sie hatte das Recht, die Aussage zu verweigern. Ob hier das Vernehmen von dieser Art von Zeugen zulässig, wird von der Fachliteratur verneint, weil sonst das Verweigerungsrecht des Zeugen umgangen wird. Der BGH hat anders entschieden. Zeugen des Hörensagens sind solche Leute, die bei der Tat nicht anwesend waren, sondern durch Gespräche, Gerüchte, Vernehmungen anderer oder vom Täter selbst Kenntnis von dieser Tat bekommen haben.)
Die Richterin wird vorgeladen und vernommen. Sie sagt aus, die Ehefrau habe ihr gegenüber erzählt, dass ihr Mann sie zuweilen finanziell auf dem Trockenen habe sitzen lasse. Im Sommer 2001 hatte der Angeklagte seiner Ehefrau die EC-Karte abgenommen und das Konto gesperrt. Geld habe es nur dann gegeben, wenn sie zum Sex bereit war. 500 Euro habe sie für normalen Sex bekommen, für schmerzhaften Sex wie Analverkehr habe er das Doppelte gezahlt. Auch musste sie immer wieder gegen den Angeklagte um Geld Gesellschaftsspiele wie Schach oder Mensch-ärgere-dich-nicht spielen. Habe sie das Spiel verloren, sei sie finanziell leer ausgegangen. Sie sei abhängig gewesen von ihrem Ehemann, sowohl wirtschaftlich und emotional als auch sexuell.
Am achten Verhandlungstag nimmt der Angeklagte doch Stellung zu der Anklage. Er bestreitet den Tatvorwurf. Er habe kein schlechtes Gewissen. Stimmt alles nicht. Zwar habe er die Frau am 28. September 2001 gegen 18 Uhr auf ihre Bitte hin an der ungarisch-österreichischen Grenze als Anhalterin mitgenommen, aber gut vier Stunden später sollen sich ihre Wege wieder getrennt haben: Die 51-Jährige sei an einer Raststätte kurz vor Regensburg wieder aus seinem Auto gestiegen.
Im April 2007 wird ein psychiatrisches Gutachten eines Sachverständigen dem Gericht vorgetragen. Er beschreibt den Angeklagten als eine Person, die ihre Schwächen vor der Außenwelt versteckt. Er schämt sich dafür. Als der Mord geschah, sei der 56-Jährige in einer Krisensituation gewesen. Er, der einst erfolgreiche Manager mit einem Jahresgehalt von fast 500.000 Euro, der beruflich versagt und Schulden hatte, sah sich einer Frau gegenüber, die glücklich war und in einem stabilen sozialen Umfeld lebte. Der Angeklagte sei beruflich aus der Erfolgsspur getreten. Es habe finanzielle und private Probleme gegeben. Die zweite Ehefrau war viel jünger als ihr Mann, sei unzufrieden gewesen, habe an Scheidung gedacht und die beiden Kinder haben wollen. Dann steigt diese Frau ins Auto und erzählt von ihrer heilen Welt, über ihr glückliches Leben mit Ehemann und drei Kindern. Und vielleicht habe der Angeklagte, dessen Leben aus den Fugen geraten war, sich deshalb klein und ohnmächtig gefühlt. Dann sei es über ihn gekommen. Er konnte nicht mehr. Er habe das Opfer überwältigt, um nicht weiter von dieser heilen Welt zu hören. Der Gutachter hält es durchaus für möglich, dass der Angeklagte der Täter ist. Den Entschluss, die Frau zu töten, hatte er jedoch erst später gefasst. Primäres Ziel war es, die Frau ruhig zu stellen, er als Versager wollte nichts von dem Glück anderer hören.
(Anmerkung: Das Gutachten durfte wegen Schutz der Persönlichkeitsrechte des Opfers und des Täters nicht ausführlich zitiert werden. Es wurden noch weitere Punkte im Gutachten besprochen, die jedoch nicht berücksichtigt werden.)
Am letzten Verhandlungstag wurde noch ein Ermittlungsbeamter vernommen, der hauptsächlich Angaben zum Klebeband machen sollte. Wie bereits in der Erstinstanz geschildert und vom Angeklagten eingeräumt, wurde das Klebeband während dieser Fahrt mit Frau H. in Österreich gekauft. Eine Zeugenaussage eines Angestellten der Tankstelle wird verlesen. Auf eine Ladung wurde verzichtet, weil der Angeklagte den Kauf eingeräumt hatte. Rückstände des Klebebandes derselben Marke wurde am Körper des Opfer gefunden.
Auch liegen im Gegensatz zur ersten Instanz neue KTU-Ergebnisse vor. So wurde am Wagen des Angeklagten, in der Innentür, eine Blutspur des Opfers gefunden. Die Blut- und DNA-Analyse lieferte eine 99,99%-ige Wahrscheinlichkeit, dass das Blut von dem Opfer stammt. Dies ergab erst eine erneute Untersuchung des Wagens nach dem Urteil der 1. Instanz. Diese Gutachten liegen der Kammer in Schriftform vor.
Im Anschluss an dieser Vernehmung nach 23 Verhandlungstagen wird das Plädoyer der Staatsanwaltschaft gehört. Sie ändert den Anklagevorwurf und fordert eine Verurteilung wegen Totschlags. Aufgrund des psychiatrischen Gutachtens können Mordmerkmale nicht nachgewiesen werden. Der Angeklagte befand sich zum Tatzeitpunkt aus beruflichen und privaten Gründen in einer stark angespannten psychischen Situation, deshalb hat er das Opfer getötet. Eine Mordabsicht zum Zeitpunkt der Fesselung des Opfers kann dem Angeklagten nicht nachgewiesen werden. Dieser Zeitpunkt ist jedoch entscheidend für den Vorwurf der Heimtücke. Und dass der Täter es auf die Reisekasse des Opfers bei der Tötung abgesehen hat, hält die Staatsanwaltschaft nach dem Gutachten für abwegig. Zwar war der Angeklagte zum Tatzeitpunkt verschuldet, jedoch hatte er – wenn auch nicht vergleichbar mit früher – ein geregeltes Einkommen. Allerdings habe der Angeklagte nach der Tat die Gelegenheit genutzt, sich der an der Reisekasse der Toten zu bedienen. Strafrechtlich ist dies als Unterschlagung zu werten und nicht mehr als schwerer Raub, da Tote keinen Gewahrsam mehr an ihren Sachen haben können. Jedoch sprechen erhebliche Umstände für eine Schuld des Angeklagten. So hat er versucht, die Ermittlungsbehörden auf eine falsche Fährte zu locken, indem er sich ein falsches Alibi verschafft hat. Dabei ist der Angeklagte mit ziemlicher krimineller Energie vorgegangen, indem er sogar eine dritte Person in die Sache hingezogen hat. Dies sei jedoch schief gegangen. Die Behauptung, er habe die Frau in Regensburg abgesetzt, ist falsch. Das Opfer wurde nie an der Raststätte gesehen – eine reine Schutzbehauptung des Angeklagten. Auch geht die Anklage in ihrem Plädoyer auf das Verhalten des Angeklagten nach der Tat ein. Der Angeklagte sei übernervös zu den Vernehmungen erschienen und habe sich in Widersprüche verstrickt.
Nach einer Gesamtschau aller Indizien könne es keinen Zweifel daran geben, dass der Angeklagte die Frau getötet habe. Unter anderem wurde im Auto des Kaufmanns eine Blutspur des Opfers gefunden. Ein Klebeband von genau der Marke, mit der die Anhalterin an den Handgelenken gefesselt war, hatte der 56-Jährige am Abend der Tat an einer österreichischen Autobahn-Raststätte gekauft. Er hat keine glaubhafte Erklärung für diesen Einkauf vorgebracht. Auch wenn das Motiv der Tat nicht ersichtlich ist, ist der Angeklagte schuldig wegen Totschlags. Die Staatsanwaltschaft beantragt unter Einbeziehung der Verurteilung in Hamburg wegen Erpressung eine Gesamtstrafe von 15 Jahren. Auch die Nebenklage sah den Angeklagten durch ein Mosaik an Indizien überführt. „Er hat nicht nur unsere Familie zerstört, sondern auch seine“ ,sagte eine Tochter des Opfers. Das Strafmaß stellt die Nebenklage ins Ermessen des Gerichts.
Die Verteidigung fordert Freispruch. „Wir haben einen Auffindeort und Indizien, aber wir haben kein Tatwerkzeug und keine eindeutigen Hinweise, dass der Angeklagte die Tat begangen hat.“ Klebeband, wie es bei der Toten gefunden wurde, sei fast sieben Millionen Mal verkauft worden. Die Aussage der Ehefrau sei nicht glaubhaft. Sie ändert ihre Aussage nach Belieben und erhofft sich mit dieser Aussage vor der Kammer Vorteile für ihr Strafverfahren. „Die Gutachten belegen keine Täterschaft meines Mandaten, sie sprechen nur von einer Möglichkeit der Täterschaft. Möglich kann viel sein, jedoch kein Schuldspruch. Es bleiben zu viele Fragen offen. Der zweifelsfreie Nachweis der Tat ist nicht erbracht. Es kann wie in Bayreuth nur einen Freispruch geben.“ Das Gericht gibt den rechtlichen Hinweis, dass auch eine Verurteilung wegen Totschlags in Betracht kommt.
(Anmerkung meinerseits: Bei der kleinsten Änderung der Anklageschrift muss vom Gericht ein rechtlicher Hinweis erfolgen. Im vorliegenden Fall ist dies kein Problem. Es gibt aber auch Fälle, bei dem das Gericht das Verfahren an eine andere Kammer verweisen muss, weil die urteilende Kammer nicht mehr zuständig ist. So kann ein Einzelrichter i. d. R. nur eine Haftstrafe bis 1 Jahr verhängen, ein Schöffengericht eine Strafe bis 4 Jahre und eine kleine Kammer des Landgerichts eine Strafe bis 15 Jahre. Jedes vorsätzliche Tötungsdelikt (außer fahrlässiger Tötung) muss(!!!) vor einer großen Schwurgerichtskammer verhandelt werden (z. B. Körperverletzung mit Todesfolge, Mord). Stellt sich eine fahrlässige Tötung während der Verhandlung als Totschlag heraus, kann ein Einzelrichter bzw. ein Schöffengericht kein Urteil verhängen. Das Verfahren muss mit einem Beschluss beendet und an die zuständige Kammer verwiesen werden. Der umgekehrte Fall, ein Totschlag stellt sich als fahrlässige Tötung heraus, kann auch von einem Schwurgericht (nach rechtlichen Hinweis) ohne Verweisung verurteilt werden.)
Der Angeklagte beteuert in seinem letzten Wort seine Unschuld und fügt hinzu, dass er in Zukunft den Rat seiner Noch-Ehefrau befolgen werde und keine Anhalter mehr mitnehmen werde.
Am 11.5.2007 ergeht vor dem LG Würzburg im Namen des Volkes folgendes Urteil:
1. Der Angeklagte ist schuldig des Totschlags und der Unterschlagung und wird zu einer Strafe von 10 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Mit der Verurteilung aus Hamburg wegen Erpressung ergibt sich eine Gesamtfreiheitsstrafe von 12 Jahren und 6 Monaten.
2. Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens
In der Urteilsbegründung folgt das Gericht den Ausführungen der Staatsanwaltschaft. Für die Kammer bestehen keine vernünftigen Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten. Auch das Gericht verneint aufgrund des psychiatrischen Gutachtens Mordmerkmale. Dadurch kann es zu einer aggressiven Entladung gekommen sein. Der Angeklagte konnte jedoch nicht erklären, wie winzige Blutspritzer und DNA-Spuren des Opfers in seinem Auto an der Fahrerseite entstanden. Entscheidend aber war eine winzige Spur von Klebeband in einer Schnittwunde des Opfers. Solches Klebeband hatte der Angeklagte bei einem Tankstopp gekauft. Das Klebeband war ein entscheidendes Indiz, das den Angeklagten belastet. Auch das Verhalten des Angeklagten nach der Tat spricht für seine Schuld. Mit einer Telefonrechnung hatte der Angeklagte nach Überzeugung des Gerichts die Ermittler täuschen wollen. Denn ehe er ihnen per Fax einen Hinweis auf seinen angeblichen Anruf per Prepaid-Handy zur Tatzeit nach Hause gab, hatte er sich vergewissert, dass die Telefongesellschaft keine ihn belastenden Daten gespeichert hatte.
(Anmerkung meinerseits: Ein Beschluss, dass ein Haftbefehl aufrechtgehalten wird, war nicht nötig, da der Angeklagte eine rechtskräftige Haftstrafe absitzt. Juristisch sitzt er somit nicht in U- Haft.)
(Anmerkung: Eine Verurteilung wegen Totschlags ist m. E. folgerichtig. Ich muss zum Zeitpunkt des Angriffs den Vorsatz haben, dass Opfer zu töten. Habe ich diesen nicht, sondern fasse den Entschluss, das Opfer zu töten, erst später, nachdem dieses z. B. gefesselt ist, liegt keine Heimtücke mehr vor, weil das Opfer jederzeit mit einem schlimmen Ausgang rechnen muss. Ab diesem Zeitpunkt ist das Opfer nicht mehr arg- und wehrlos. Ebenso ist es bei Habgier. Ich muss das Opfer töten, um es bestehlen zu können. Bringe ich das Opfer zuerst um, ohne an das Geld zu denken, liegt kein Mord aus Habgier vor. Nehme ich das Geld nach der Tötung an mich, weil die Gelegenheit günstig ist, liegt juristisch noch nicht einmal ein Diebstahl vor, sondern nur eine Unterschlagung, weil Tote keinen Gewahrsam begründen können. So klein sind die Unterschiede im Strafrecht, können jedoch bei einer Verurteilung wegen Totschlags anstatt von Mord 10 Jahre ausmachen.)
Die Verteidigung legt form- und fristgerecht Revision beim BGH in Karlsruhe ein.
Am 19.12.2007 verwirft der BGH die Revision, das Urteil ist sodann rechtskräftig. Die Revision sei unbegründet, die rechtliche Überprüfung des Urteils des LG Würzburg sei statthaft.